03.06.2025 BAG: Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich
Der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts -BAG- entscheidet, dass ein Arbeitnehmer selbst durch gerichtlichen (Tatsachen-)Vergleich nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub verzichten kann.
Ein Arbeitnehmer hatte gegen seinen Arbeitgeber Klage erhoben auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er hatte zuvor in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich geregelt „Der Urlaub ist in Natur genommen“.
Der Senat hat, wie auch die Vorinstanzen (Arbeitsgericht Siegburg und LAG Köln) der Klage stattgegeben. Der gesetzliche Mindesturlaub ist der Disposition der Parteien entzogen. Ein Verzicht ist gem. § 134 BGB nichtig, da er der Regelung des § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG widerspricht.
Bei dem streitgegenständlichen Vergleich handele es sich nicht um einen Tatsachenvergleich, da dieser voraussetze, dass eine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden soll. Diese Voraussetzung war hier nicht gegeben, da aufgrund durchgehender dauerhafter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers Urlaub nicht hätte gewährt werden können. Somit verbleib kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs.
Ach der Einwand der Arbeitgeberin (der Beklagten), dem Kläger sei es aufgrund von Treu und Glauben verwehrt sich auf den Anspruch zu berufen (da er den Vergleich geschlossen hat), blieb erfolglos. Es gibt keinen Vertrauenstatbestand auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung.
Anmerkung: Die Parteien sollten bei dieser Frage zukünftig besonderes Augenmerk darauf werfen, ob der Urlaubsanspruch überhaupt noch zu gewähren ist, andernfalls läuft der Arbeitgeber, wie hier, Gefahr doppelt in Anspruch genommen zu werden.
Quelle:
BAG 03.06.2025 – 9 AZR 104/24 – Pressemitteilung 23/25
(Vorinstanz LAG Köln 11.04.2024 – 7 AZR 516/23, ArbG Siegburg, 16. 08.2023 - 3 Ca 924/23-)
Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Heinemann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Lippstadt
03.04.2025 BAG: Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen
-nachträgliche Klagezulassung
Erlangt eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, ist die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG* nachträglich zuzulassen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2022. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14. Mai 2022 zu. Am 29. Mai 2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17. Juni 2022 erhielt. Am 13. Juni 2022 hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 21. Juni 2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17. Juni 2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Ihr Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den 2. Februar 2023 aus. Danach hatte die Schwangerschaft am 28. April 2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt. Beide Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die streitbefangene Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Das Gegenteil wird nicht nach § 7 Halbs. 1 KSchG fingiert. Zwar hat die Klägerin mit der Klageerhebung am 13. Juni 2022 die am 7. Juni 2022 abgelaufene Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt. Diese Frist ist zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Der Fristbeginn richtete sich nicht nach § 4 Satz 4 KSchG*, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin. Die verspätet erhobene Klage war jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17. Juni 2022 positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung am 14. Mai 2022 schwanger war. Der etwas mehr als zwei Wochen danach durchgeführte Schwangerschaftstest vom 29. Mai 2022 konnte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln. In der vom Senat vorgenommenen Auslegung genügt das bestehende System der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs. 1 MuSchG den Vorgaben der Richtlinie 92/85/EWG, wie sie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Sache „Haus Jacobus“ (EuGH 27. Juni 2024 – C-284/23 -) herausgearbeitet hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. April 2025 – 2 AZR 156/24 –
Pressemitteilung 16/25
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 22. April 2024 – 2 Sa 88/23 –
Anmerkungen: Rechtsanwalt Frank Heinemann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Lippstadt