19.02.2019 BAG: Verfall von Urlaubsansprüchen / Arbeitgeberobliegenheiten

… und wieder setzt sich europäische Rechtsprechung auf nationale Rechtsprechung durch. Der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat festgestellt (ganz auf der Linie der Entscheidung EuGH 06.11.2018 Max-Planck-Gesellschaft - C-684/16 -, hier bereits besprochen), dass ein Verfall von Urlaubsansprüchen nunmehr davon abhängt, dass der Arbeitgeber zuvor den Arbeitnehmer -rechtzeitig, umfassend, inhaltlich richtig und verständlich darüber aufgeklärt hat, dass und wie sein Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.
Der Fall: Ein Wissenschaftler, beschäftigt seit 08/2001 bis zum 31.12.2013 beantragte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Entgelt für insgesamt 51 nicht genommene Urlaubstage aus den Jahren 2012 und 2013. Ein Antrag auf Urlaubsgewährung war nie gestellt worden.

Die Vorinstanzen (Arbeitsgericht München 13.11.2014 - 13 Ca 7172/14 -, Landesarbeitsgericht München 06.05.2015 – 8 Sa 982/14) hatten der Klage (auf Entgelt) stattgegeben, das LAG hatte angenommen, der Urlaub sei zwar verfallen (gem. § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz, im Folgenden BUrlG), dem Kläger sei aber Schadenersatz in Form von Ersatzurlaub zu gewähren gewesen, der sich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt hätte. Das LAG argumentiert im Wesentlichen, dass der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung, den Urlaub zu gewähren nicht nachgekommen sei.

Der 9. Senat des BAG sieht keine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers von sich aus dem Arbeitnehmer Urlaub zu gewähren. Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH sei der Arbeitnehmer aber letztlich vollumfänglich, verständlich, und inhaltlich richtig und unter Hinweis auf den möglichen Verfall durch den Arbeitgeber aufzuklären. Wenn er, trotz umfassender Aufklärung den Urlaub dennoch nicht beantragt, so verfalle dieser (nach wie vor).

Bisher galt: Der Urlaubsanspruch verfällt am Jahresende, wenn er durch den Arbeitnehmer nicht beantragt wurde, § 7 Abs. 3 BUrlG. Eine Übertragung in das Folgejahr (max. bis zum 31.03.) ist nur in begründeten Fällen möglich. Urlaub ist – nach hiesigem Verständnis – nach wie vor in erster Linie ein Anspruch auf bezahlte Freizeit zur Erholung. Nunmehr, unter Beachtung der Arbeitszeitrichtlinie (Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG), wird der Arbeitgeber zwar nicht gezwungen, von sich aus Urlaub zu gewähren (so das LAG) ihm obliegt aber die Initiativlast zur Verwirklichung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers. Bezugnehmend auf die Richtlinie konkretisierte der EuGH, dass der Arbeitgeber gehalten sei „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub z nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“.
Richtlinienkonform könne Urlaub daher nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihm ganz deutlich klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub mit Ablauf des Urlaubsjahres (oder des richtigen Übertragungszeitraumes) anderenfalls erlösche.
Der Rechtsstreit wurde an die Berufungsinstanz zurück verwiesen um genau diese Frage aufzuklären.
Anmerkung: Da der Rechtsstreit aus dem Jahre 2014 stammt, in welchem noch niemand ansatzweise darüber nachdachte, dass es ggf. eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich des möglichen Verfalls des Urlaubs geben könnte, ist das zu erwartende Ergebnis nicht schwer zu orakeln. Der Kläger wird seinen Anspruch letztlich durchsetzen können. Der 9. Senat hat letztlich in dieser Entscheidung klar gemacht, dass die Arbeitszeitrichtlinie zwar nicht vom Arbeitgeber fordert, dem Arbeitnehmer „Zwangs-/Urlaub“ zu gewähren, letztlich wird jedoch eine umfassende Aufklärung aller Arbeitnehmer gefordert.
In den Konzernen wird, wahrscheinlich mit der September- oder Oktoberabrechnung eine entsprechende Information an den Arbeitnehmer versandt werden. In vielen kleinen und mittelständischen Betrieben wird es seine Zeit brauchen, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt.
Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 9/19 zum Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 541/15 -
Frank Heinemann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Lippstadt

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