05.07.2019 Saarländischer Verfassungsgerichtshof: Geschwindigkeitsmessung mit Trafistar S 350 nicht verwertbar (im Saarland) 

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes gab einem Temposünder Recht, der sich letztlich ausschließlich mit dem Argument verteidigte, die Grundsätze eines „fairen Verfahrens“ seien verletzt, da bei dem eingesetzten Messgerät die „Rohmessdaten“ nicht dauerhaft gespeichert würden und damit eine echte unabhängige Überprüfung des Messergebnisses im Nachhinein nicht möglich sei.

Im Vorfeld war das geschehen, was standardmäßig in der gesamten Bundesrepublik passiert. Viele der „Starenkästen“ sind mittlerweile digitalisiert. Bei der hier betroffenen Traffistar S 350 handelt es sich um die zumeist runden etwa 2,5 m hohen grau-schwarzen Säulen. Die Messgeräte werden einer sogenannten Bauartprüfung durch die Physikalisch Technische Bundesanstalt – im Folgenden PTB - unterzogen. Sobald diese Prüfung erfolgreich abgeschlossen ist, wird eine Bauartzulassung erteilt und das Messgerät ist für den sogenannten „standardisierten Messbetrieb“ zugelassen. Die Gerichte argumentieren, dass dieses standardisierte Messverfahren letztlich einem vorweggenommenen Sachverständigengutachten entspricht und daher auch die Messergebnisse „richtig“ seien.
Dem ständigen Ruf der Verteidiger, dass diese ohne Offenlegung der „Rohmessdaten“ (im Sinne der Messergebnisse der Sensoren) keine Möglichkeit hätten, die Richtigkeit der Messungen nachzuvollziehen, wurde von allen beteiligten Gerichten, den Messgerätherstellern, sowie der PTB vehement und mit den abstrusesten Argumenten entgegengetreten.
Die Messgeräte liefern den Verteidigern lediglich die, aufgrund einer nicht bekannten Rechnung aus den Rohmessdaten berechnete Ergebnisse, die dann die Richtigkeit der Messung belegen sollen.
Dagegen argumentierte der Unterzeichner beispielsweise damit, dass bei einem gerichtlichen Sachverständigengutachten in einer Bausache bei dem Vergleichspreise eingeholt werden um einen „ortsüblichen Preis“ festzulegen, auch niemand auf die Idee kommen würde, die Frage zu verwehren, aufgrund welcher Datenerhebungen (eingeholten Angebote) der Sachverständige denn zu den von ihm angenommenen Preisen gekommen sei.

Das Saarländische Verfassungsgericht wählt folgenden Vergleich:
Urteil Seite 20 2. Absatz:

„Niemand würde deshalb bezweifeln, dass die Ergebnisse einer Blutentnahme oder einer DNA-Probe nur dann Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein dürfen, wenn die Blutprobe oder die DNA-Daten, die gleichfalls Gegenstand eines standardisierten Messverfahrens sind, (…) noch zu einer die Messung unabhängig nachvollziehbaren Überprüfung zur Verfügung stehen.“

Die Herleitung der Verfassungswidrigkeit wird an folgendem Zitat sichtbar:
Urteil Seite 23 2. Absatz:

„Solange eine Messung aber nicht durch die Bereitstellung der Datensätze (…) einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen zugänglich ist, würde der Verweis auf die Verlässlichkeit der Konformitätsprüfung (Anm. Messung und Zulassungsverfahren) – die im Übrigen keiner öffentlichen Transparenz und keiner Kontrolle der von der Verwendung der Messgeräte Betroffenen unterliegt – schlicht bedeuten, dass der Rechtssuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären.

Das ist nach der Überzeugung des Verfassungsgerichtshofs weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in anderen Fällen standardisierter Messverfahren (…) rechtstaatlich hinnehmbar. Auch in den genannten Beispielsfällen käme niemand auf den Gedanken, dass die untersuchten gesicherten Substanzen sofort nach ihrer Analyse vernichtet werden könnten und nachträglichen Zweifeln eines Beschuldigten an der Richtigkeit der Feststellungen nicht nachgegangen werden müsste, weil das Ergebnis der standardisierten Untersuchung in aller Regel zutreffend sei.“

Anlässlich dieser klaren Worte bedarf es letztlich keiner weiteren Bewertung oder Übersetzung.
Das Gericht setzt sich auch mit den abstrusen Argumenten der beteiligten auseinander. Diese Argumente lauten wie folgt:

Für die Gerichte argumentiert die Präsidentin des saarländischen OLG: Die Betroffenen seien gehalten, konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der jeweiligen Messung zu liefern, so folge man der Rechtsprechung des BGH. Dabei wird wohlweislich auf verschiedenste Anhaltspunkte verwiesen, die auf eine Fehlmessung hinweisen könnten. Letztlich ein relativ peinlicher und ignoranter Vortrag wenn man bedenkt, dass natürlich die anderen von ihr benannten Anhaltspunkte jeweils für sich genommen eine Möglichkeit sind, die Messung anzugreifen, jedoch die Frage offen lassen, ob die Messung überhaupt nachträglich überprüft werden könne, worum es letztendlich ging.

Die PTB weist darauf hin, dass, selbst wenn alle Rohmessdaten gespeichert würden, die konkrete unabhängige nachträgliche Überprüfung des geeichten Messwerts nicht möglich sei. Dem einigermaßen mit dem Eichgesetz vertrauten Leser stellen sich anlässlich einer solchen Argumentation die Nackenhaare auf. Wenn man dann aber liest, wie die PTB die Messgeräte für die Bauartzulassung prüft, wird das bereits eingetretene mulmige Gefühl noch verstärkt. Da werden ca. 100 Stunden auf einem Messstand (metrologisch rückgeführten Messplatz) quasi verschiedenste Wetterbedingungen simuliert und dann die vom Messgerät ausgerechneten Werte mit den tatsächlichen Werten verglichen.
Anlässlich der Diskussion um Messstände und das softwaretechnisch gesteuerte Verhalten von darauf befindlichen Dieselfahrzeugen hinsichtlich ihres Schadstoffausstoßes ist eine solche Argumentation nicht unbedingt als vertrauensbildende Maßnahme geeignet.
Der Argumentation tritt das Gericht mit einem unabhängigen Sachverständigen entgegen und klärt auf, dass natürlich bei Vorliegen der Rohmessdaten eine nachtägliche Kontrolle der errechneten Werte des Messgeräts möglich sei. Wen wundert das? Dieser Argumentation tritt die PTB dann auch nicht mehr entgegen.

Der Hersteller, hier die Fa. Jenoptik für das Gerät Trafistar S 350, verweist auf die fehlende Notwendigkeit der Aufzeichnung von Rohdaten, denn messrechtlich genüge die Eichung, die Konformitätsprüfung sowie die Möglichkeit einer „nachträglichen Befundprüfung“. Die Frage der messrechtlichen Zulässigkeit hat leider überhaupt keinen Bezug zur hier streitgegenständlichen Frage eine für den Betroffenen „fairen Verfahrens“. Die nachträgliche Befundprüfung ist dann auch wieder so ein „Unwort“. Im Ergebnis wird sich nachträglich ohne gespeicherte (Roh-) Messdaten kaum nachvollziehen lassen, ob der Befund (die Berechnung wertes des des Gerätes) denn mit der Wirklichkeit übereinstimmt.
Letztlich, so der Sachverständige, sei nicht auszuschließen, dass derzeit nicht bekannte Faktoren die Messungen zukünftig beeinflussen können. Als Beispiel führt der Sachverständige an, dass Wechselwirkungen mit den immer komplexer werdenden technischen Systemen im Auto und am Wegesrand, die sich ständig veränderten, nicht ausgeschlossen werden könnten. Lediglich anhand der Rohmessdaten ließen sich Hinweise auf derartige Störungen identifizieren.

Das Gericht weist richtigerweise darauf hin, dass an seine Entscheidung lediglich die saarländischen Gerichte gebunden sind. E s bleibt daher die spannende Frage, ob die anderen Obergerichte ihre – aus unserer Sicht bisher ignorierende Haltung zu der Frage der Notwendigkeit des Vorhaltens der Rohdaten (der tatsächlichen Messdaten) aufgeben und sich der letztlich rein verfassungsmäßig gebotenen und richtigen Auffassung des hier erkennenden Gerichts aschließen.
Sehr wahrscheinlich werden die Hersteller der Messgeräte den Weg gehen (müssen) die Rohmessdaten wieder mit abspeichern zu müssen. Warum diese letztlich in den letzten Versionen der Software mit der die Messgeräte betrieben wurden herausgenommen wurde, ist sowieso nur nachverständlich, wenn man unterstellt, dass hier etwas verborgen werden soll.
Wir weisend darauf hin, dass diese Interpretation und die zugegeben etwas sarkastischen Anmerkungen, vom Unterzeichner stammen. In der Vergangenheit war die Argumentation mit den fehlenden Rohdaten vor den Gerichten etwa das, was man sich bei Don Quichote und den Windmühlenflügeln vorzustellen vermag.
Quelle: Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichtshof 2019-Lv 7/17 vom 05.07.2019
Frank Heinemann, Rechtsanwalt, Lippstadt

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